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Verheißungsvolle Produktion (1. Initiation)


„Wenn man von einem Sturm des Gefühls spricht, meint man einen, wo die Rinde des Menschen ächzt und die Äste des Menschen fliegen, als sollten sie abbrechen. Das aber war ein Sturm bei ganz ruhig bleibender Oberfläche. Nur beinahe ein Zustand der Bekehrung, der Umkehrung; keine Miene verschob sich von ihrem Platz, aber innen schien kein Atom an seiner Stelle zu bleiben. Ulrichs Sinne waren klar, doch wurde jeder begegnende Mensch vom Auge anders als sonst aufgenommen, und jeder Ton vom Ohr.“

– Robert Musil, Der Mann Ohne Eigenschaften

Und dergleichen zündete die erste Produktion. In sich schwang sie das Bewusstsein des Ausschwärmens einer Verheißung. Doch sollte ihm die Andersheit allein genügen? Von welchem Schlage müsste Andersheit sein, dass sich in ihr letztlich die blutenden Chimären würgenden Moments zur Verheißung bündeln?

Konzentrationsstörung 1: Das Krachen eines Modems verhieß unserer Generation einst den Einstieg. Die sich kappende Telefonleitung fand ihr Analogon vielleicht im Prozess der Hypnose, wo eine Sinnleitung eingedämmt wird, um im anderweitigen Kanal die Intensivierung bis hin zur Halluzination zu ermöglichen. Dort wo das Modem krachte, fand unsere Generation ihr Ritual für die Initiation in den Cyberspace. Im Krachen des Modems: keine Miene verschob sich von ihrem Platz, aber innen schien kein Atom an seiner Stelle zu bleiben. Vor dem Bildschirm transformierten sich Körper. In welche Andersheit verschob es sie?

Zwischendurch der Gegenklick, in den Löchern haust der Kuckuck, was weiß der Kuckuck, also zwischendurch Facebook, es könnte ja doch in der Zwischenzeit was passiert sein.

Meine Unfähigkeit zusammenhängend und systematisch zu schreiben und zu denken ist Symptom und wird begleitet vom geisterhaft entstellten Krachen des Modems heute, das nicht mehr ist. Ich erinnere mich an eine der ersten Vorlesungen zur Literaturwissenschaft die ich online angehört habe, doch im frenetischen Klicken durch die geöffneten Tabs meines Geistes kracht die Erinnerung ein wenig.
In den geräuschvollen Funken, den akkustischen Blitzschlägen und dem metallenen Rechen auf der Messingplatte finde ich Zerstreuung durch geschwinde Zeiten, eine breite Palette aus mentaler Auseinanderheit, in die sich Dinge ohne Maß und Ziel einreihen, nur um wiederum bestehende Reihungen zu zerstören. Aus den Splittern und Scherben der Reihungen rechnen sich Milliardenmeuten in alle Himmelsrichtungen.

Den Rhythmus finden: Wieder zurückkehren zu einer Erinnerung. Wieder Blitze, wieder Krachen. Eine der ersten Vorlesungen zur Literaturwissenschaft, die ich online angehört habe: Introduction to Theory of Literature von Professor Paul Fry. Verheißungsvoll nahm sich die 14. oder 15. Vorlesung aus, denn sie stach in die Gegenwart hinein. Ein Schwarm Mücken, aufgeregte Stiche (aus jedem Einstichsloch rechnen sich Milliardenmeuten sowohl aus dem Stichloch in die Außenwelt, als auch in den Körper hinein). Behandelt wurden Slavoj Zizek, Gilles Deleuze und Felix Guattari, die sich hinter dem Titel „The Postmodern Psyche“ versammelten. Im frenetischen Klicken durch die geöffneten Tabs meines Geistes kracht die Erinnerung ein wenig, aber ein Bit blieb in den Ästen meines Menschseins hängen. Professor Fry fragt die Studenten, ob ihnen nicht auch die Qualität des Geschriebenen aufgefallen wäre. Dieser kaffeinierte Vibe, frenetisch, wild, durchzuckt. Die postmoderne Psyche. Kein näherer philosophischer Punkt, dafür fehlt jeglicher Zusammenhang, jegliche fähige Handhabung des Instrumentariums. Was sich unter ihr versammelt und hinter ihr versteckt – klicke durch ins nächste Fenster – hinter den Spiegeln fand Alice wieder Spiegel. Nun liebe Alice musst du dich entscheiden. Das digitale Herz zerblättert, es gibt zu viele schöne Kandidaten für die Wahl.

Warenfetischismus: Ein Spaziergang im Land hinter den Spiegeln, auf dem Amazonas gleiten die Güter

 

„Die Weltgesellschaft beginnt eine Identität auszubilden, vor der man nur erschrecken kann.
Das Ich, das alles haben will,
erweitert sich zum Wir der Menschheit,die in universaler Kollektivität dem Warenfetischismus verfällt.“
– Heinz Kimmerle

 

Die Entzauberung der Welt wird geladen – 98%

ein unbedingt unvollständiges Universum wird geladen – 99%

Den Rhythmus finden: Wieder zurückkehren zu einer Erinnerung: Wieder Blitze, wieder Krachen: Warenfetischismus: Eine Erinnerung zwischengeschalten und ins Netz gespeist: Adorno und Horkheimer haben Walter Benjamin einst beim Krawattl genommen und gesagt: Walter, do you even Warenfetischismus. Du bist ja nichts als Magie und leerer Zauber. Da hat er sich das Herz genommen und endlich Marx gelesen, fortan war Benjamin nichts als verdinglichter Zauber und Warenfetischismus. Sieh dir das mal an, haben sie zu ihm gesagt, Warenfetischismus, dann findest du schon, was mit dir bisher nicht gestimmt hat. Ich habe nicht in Erfahrung bringen können, ob er die von den beiden zur Verfügung gestellte Datei je zur Gänze laden konnte, oder ob ihm ein Zauber die 100% verwirkt hat.

Konzentrationsstörung 1: Rückwärtig bricht sich eine jede Realität unwiederbringlich in Vergangenheiten. Die postmoderne Psyche kann nicht zurück hinter das Krachen des Modems, die Initiation stellt sich als unhintergehbar heraus und bleibt bis auf weitere Initiationen unwiderruflich.

Konzentrationsstörung 2: In der abgehackten Flanke des Gedankens zittert es noch nach

Konzentrationsstörung 3: Kann man, wenn die Konzentrationsstörungen derart „gestreamlined“ sind, überhaupt noch von Störung sprechen? Wo ist der Punkt erreicht, an dem die Störung übergeht in business-as-usual. Wie lange kann sich eine Störung widersetzen, bis sie den Dienst im System antritt. Wie lange wohl, bis ich auf meinem Blog Werbebanner schalte? Wie lange, bis sich der Blog in ein Ebook sedimentiert, und das Gut über den Amazonas treibt?

 

Lukács, der in „Geschichte und Klassenbewusstsein“ keine penible Exegese des „Kapital“ intendiert, interpretiert die Pointen der Marxschen Analyse der Warenproduktion ganz im bislang skizzierten Sinn:

  1. (a)  Für ihn ist die Logik der Warenproduktion die der Abstraktion, in der sich das Telos der Produktion auf die Mehrung abstrakten Reichtums verlagert hat und die vom Telos einer auf konkrete, eventuell nicht manipulierte Bedürfnisse orientierten Gebrauchswertproduktion nach Kräften abstrahiert.
  2. (b)  Die Verkehrung eines gesellschaftlichen Verhältnisses in ein Verhältnis von Dingen ist nicht pure Ideologie, sondern Ausdruck des wirklichen Verlusts der gesellschaftlichen Kontrolle des Produktionsprozesses, Ausdruck der Tatsache, daß sich die Produktionsverhältnisse in „von individuellem Tun unabhängige Gestalten“ (Marx) verwandelt hat.

Mit dem Terminus Verdinglichung bringt Lukács diese Pointen der Wertformanalyse m.E. auf den sachlich angemessenen Punkt: Moderne Gesellschaften sind von der Basis her Gesellschaften, in den abstrakte Prinzipien (hier die Prinzipien der Kapitalszirkulation) zum Realitätsprinzip geworden sind. Sie machen die Produzenten, die produzierenden Subjekte zum Objekt der wirtschaftlichen wie gesamtgesellschaftlichen Entwicklung. Je stärker die Logik der Warenproduktion in bislang nicht betroffene Lebensbereiche, etwa die der eigenen oder „fremder“ Kultur, migriert, desto umfassender wird das System der Verdinglichung, das System der – so Lukács – verdinglichten Lebensformen. Lukács selbst hat auf entsprechende Entwicklungstendenzen im modernen Rechtswesen, der modernen Kultur und Philosophie aufmerksam gemacht. Den Schriften seines Lehrers Max Weber entnimmt Lukács den Nachweis, daß sich der kapitalistische Rationalisierungstyp mit seinen Hauptmerkmalen der Reduktion von Qualitativem auf pure, austauschbare Quantitäten und des „Prinzips einer auf Kalkulation, auf `Kalkulierbarkeit` eingestellten Rationalisierung“ auch in den Institutionen des modernen Rechts sowie in dem „nüchternen Tatbestand der universellen Bürokratisierung“ manifestiert.

– Rüdiger Dannemann, Verdinglichung, Warenfetischismus und die Ohnmacht der Demokratie (Lukács` Verdinglichungstheorie als Kritik des neoliberalen Kapitalismus)

 

Die postmoderne Psyche des (unter welcherlei Einfluss?) sich zersetzenden und ausfransenden Geistes kann den roten Faden nicht durchgehend laden. Sie gibt nichts als Zeichen über Zeichen verwachsender Gestalten. Hinter dem Spiegel wählt Alice nur zwischen weiteren Spiegeln. Die Weite des Wunderlands bleibt undurchquert. Vielleicht ist das Wunderland vom Bildschirm versperrt, aber doch: die verheißungsvolle Andersheit ist ohne den Bildschirm heute nicht mehr so recht ansprechbar. Noch die Reise in unberührte Natur (beim „Dopaminfasten“) verweist zurück auf den Bildschirm, dem kein Entfleuchen mehr ist. Selbst wer mit brachialer Gewalt, mit der Faust durch den Bildschirm bricht, findet dahinter Schirme, die vielleicht ewig zum nutzlosen Durchbruch locken. Durch den Bildschirm wird alles denkbar. Am Rande des Bildschirms eingeschrieben bleiben nur die Spuren der Initiation in den Cyberspace, ein weißes Rauschen der Inkohärenz.

Das Modemrauschen ist heute nur noch ein sublimes Zeichen, höchstens in der Sinnlichkeit der Erinnerung Einzelner noch in irgendeiner Art von Körperlichkeit befangen. Aber so wie ein Geist die Erinnerung überschreitet und sein Heimsuchen sich nicht an die Anordnungen der Menschen hält, so geht auch dieses Geräusch in eigene, unvorhersehbare Zirkulationen ein. Die Initiation in den Cyberspace hat also Geister gezeugt, so wie die Abstraktion der Produktion ihre Geister gezeugt hat. Von individuellem Tun unabhängige Gestalten. Ausdruck des wirklichen Verlusts einer Körperlichkeit, die sich nicht mehr wiederbringen noch benennen lässt. Wer mit Geistern spricht ist aber nicht notwendigerweise ein  Medizinmann oder Schamane, derartige Funktionen sind lediglich Notwendigkeiten bestimmter gesellschaftlicher Formationen. Aber wo kein Medizinmann mehr ist, die Geister zu besänftigen, hören sie darum doch nicht auf, Besänftigung zu erheischen.

Und vielleicht entgehen am Ende unserer Leitung nur die Geister der Verdinglichung.